Es hatte an diesem Abend in Gelsenkirchen schon weit vor dem Anpfiff gekribbelt - und die Bandbreite der Erwartungen an den FC Schalke 04 reichte von Freudentaumel bis Trainer-Rauswurf. Doch womit nicht einmal die besonders optimistischen S04-Fans gerechnet hatten: Schalke rang den souveränen Tabellenführer FC St. Pauli nieder, lieferte in einer verkorkste Saison einer kaum für möglich gehaltene tolle Leistung und siegte durch Tore von Yusuf Kabadayi (2) und Kenan Karaman mit 3:1 (1:0).
Schon beim Aufwärmprogramm hatten die Fans die Profis mit ihrer so simplen wie schwierigen Hauptforderung konfrontiert. „Wir wollen Euch kämpfen sehen“, riefen sie - denn schon das hatte in dieser Saison so oft gefehlt. Damit die Einstellung und der Zusammenhalt passen, hatten sich die Spieler am Montag zwei Stunden lang ausgesprochen.
Trainer Karel Geraerts hatte eine besondere Taktik ausgetüftelt. Er tauschte das Team auf fünf Positionen, schickte Mittelfeldspieler Ron Schallenberg in die Innenverteidigung, setzte auf eine mutige mannorientierte Verteidigung, die ein wenig an die Strategie seines Vorgängers Thomas Reis erinnerte. In der Offensive sollten immer wieder die schnellsten Schalker im Kader, Bryan Lasme und Yusuf Kabadayi, in Szene gesetzt werden. Auf der rechten Abwehrseite feierte Winter-Zugang Brandon Soppy sein Startelf-Debüt.
Schalke-Trainer Karel Geraerts krempelt S04 um
Von dieser überraschenden Taktik, der Lautstärke in der Arena und einer lange nicht mehr gesehenen Aggressivität des Abstiegskandidaten ließ sich der Liga-Primus beeindrucken und wirkte fast in der kompletten ersten Hälfte ratlos. Nur einmal gelang es St. Pauli, sich bis in den Schalker Strafraum zu kombinieren, den Schuss von Connor Metcalfe konnte S04-Torwart Marius Müller aber zur Ecke lenken (10.).
St. Pauli: Vasilj - Wahl (85. Albers), Smith (12. Dzwigala), Mets - Saliakas, Kemlein (46. J. Eggestein), Irvine, Treu - Metcalfe (62. Saad), Hartel, Afolayan
Tore: 1:0 Kabadayi (44.), 2:0 Kabadayi (73.), 2:1 (89. Saad), 3:1 Karaman (90+2)
Gelbe Karten: Soppy, Kabadayi, Churlinov
Zuschauer: 61.497
Schiedsrichter: Daniel Siebert (Berlin)
Sonst kontrollierten, und das überraschte alle 62.000 Zuschauer in der ausverkauften Arena, die Königsblauen das Geschehen - als wären sie der souveräne Spitzenreiter, nicht der Gegner. Was aber fehlte: Torchancen. Schalke erarbeitete sich fünf Ecken, einige gute Pass- und Schusspositionen - aber die Präzision fehlte. Erst in der 44. Minute stimmte dann alles. Thomas Ouwejan drang auf der linken Seite bis zur Torauslinie vor, spielte einen Flachpass in die Mitte. Kapitän Simon Terodde ließ den Ball clever passieren, Kabadayi drückte ihn über die Linie. Beim 1:0 blieb es zur Pause, und das war hochverdient. Diese Führung zeigte, dass Schalkes Mannschaft lebt, und das Karel Geraerts ein sehr guter Tüftler sein kann. Zur Pause forderte kein Fan mehr, dass Schalke kämpft. Das hatten die Profis beeindruckend gezeigt.
Schalke steht gegen St. Pauli sicher
In seiner bisher erfolgreichen Amtszeit hatte St. Paulis Trainer-Shootingstar Fabian Hürzeler (31) noch nicht so viele schwache Halbzeiten seines Teams gesehen - auch die verletzungsbedingte Auswechslung des Schlüsselspielers Eric Smith (12. Minute) diente nicht als Ausrede. Und auch in der zweiten Hälfte gelang der Mannschaft, die Geraerts vor dem Spiel noch „ohne Zweifel bestes Team der Liga“ genannt hatte, wenig. Erst in der 58. Minute schoss der Spitzenreiter erstmals nach der Pause aufs Schalker-Tor, doch Müller war bei Metcalfes Versuch zur Stelle.
Die Schalker zeigten eine abgeklärte Leistung, angeführt vom herausragenden Schallenberg, der an diesem Tag die Schlüsselrolle in Schalkes Taktik hatte. Aber auch ein anderer machte auf sich aufmerksam. Rechtsverteidiger Soppy, vor einem Monat als Soforthilfe verpflichtet, dann aber wegen fehlender Fitness sogar aus dem Training genommen, überzeugte mit Zweikampfstärke und gutem Stellungsspiel.
Kenan Karaman macht für Schalke alles klar
Als den Schalkern in der 73. Minute das 2:0 gelang, war das keine Überraschung mehr, sondern folgerichtig. Simon Terodde hatte freistehend Torwart Nikola Vasilj angeschossen, den Abpraller drückte Kabadayi über die Linie - und jubelte wie Cristiano Ronaldo. Auch nach dem Anschlusstor durch Elias Saad (89.) brannte nichts mehr an. In der Nachspielzeit sorgte Kenan Karaman mit einem Flachschuss nach einer Vorlage von Darko Churlinov für das 3:1.
Und so erlebte Schalke ein Fußballfest, einen Freudentaumel am Freitagabend, im Abstiegskampf kommt der Sieg sogar einem Befreiungsschlag gleich. Von einem Trainer-Rauswurf redete niemand mehr. Im Gegenteil: Karel Geraerts hatte mit seiner Taktik Mut bewiesen. Er verließ die Arena als ganz großer Gewinner.